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Welt am Sonntag
 

Ausgabe: 01.06.2003    
Abrissbirne kommt wieder in Mode - Kein Geld zur Renovierung
Die Finanznot der öffentlichen Haushalte führt dazu, dass der Denkmalschutz gelockert wird

Von Julia Winkenbach
 
Am Mittwochnachmittag vergangener Woche war Zeit, kurz durchzuatmen. Christian Feigl wusste, dass sein „Baby" gerettet ist. Zumindest vorläufig. Seit Anfang des Jahres kämpft der Denkmalschützer um die ehemalige Königlich-Preußische Provinzial-Irrenanstalt in Halle. Sie soll abgerissen werden. Die Wirtschaftsausschüsse hatten dem Abriss des Baudenkmals zu Gunsten eines Innovations- und Technikparks bereits zugestimmt. Der Stadtrat aber zögerte. Er beschloss mehrheitlich, dass der Fall erst vom Kulturausschuss bewertet werden soll.
In Halle soll die Königlich-Preußische Irrenanstalt weichen
Christian Feigl saß auf der Zuschauertribüne, als dieser Beschluss fiel. Jetzt haben er und sein „Arbeitskreis Innenstadt" bis August Zeit, Alternativvorschläge zum Abriss der Irrenanstalt vorzulegen. Die Lieblingsidee: aus dem Irren­haus ein Kongresshotel zu machen. Die Zeiten haben sich geändert. Kurz nach der Wende wurden bundesweit hunderte Millionen Mark in den Erhalt und die Sanierung alter Bausubstanz investiert. Heute entscheiden sich Städte und Gemeinden häufiger für den Geldfluss finanzkräftiger Investoren. Für die historischen Gebäude be­deutet das zumeist die Abrissbirne. Juliane Kirschbaum, Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz bestätigt: „Die Städte und Gemeinden haben heute oft nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten, um ihre Planungshoheit in der wünschenswerten Weise wahrnehmen zu können. Sie sehen sich daher kaum in der Lage, den Wünschen der Großinvestoren zu widerstehen, auch wenn es auf Kosten der alten Bausubstanz geht."

Die Hallenser kennen das. Ende 2001 wurde am Marktplatz ein Gründerzeithaus zu Gunsten eines Kaufhof-Anbaus abgerissen. Ein Eckgebäude mit renaissance- und barockzeitlichem Kern sollte folgen. Als bei den Abrissarbeiten letztes Jahr romanische Bausubstanz gefunden wurde, durfte Kaufhof nicht weiter abreißen.

Bei der Provinzial-Irrenanstalt kann niemand auf solche Wunder hoffen.

Der Gebäudekomplex, der zu den frühesten psychiatrischen Heilanstalten Deutschlands gehört, wurde in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut. Das Gelände, auf dem die klassizistischen Putzbauten stehen, ist Teil eines „Technologie- und Gründerzentrums", das mit EU-För­dermitteln errichtet wurde. Angesiedelt wurden dort die Institute der Martin-Luther-Universität und der Max-Planck-Gesellschaft, aber auch innovative Firmen aus Bereichen wie Bio-Genetik oder Mikro-Elektronik. Geht es nach den Investoren, sollen die maroden Gemäuer der Irrenanstalt einem Neu­bau weichen. Das versuchen Denkmalschüt­zer wie Christian Feigl zu ver­hindern.

„Wenn die Provinzial-Irrenanstalt abgerissen wird, verliert ein Stadtviertel mit einer langen Baugeschichte sein Gesicht", erklärt Franz Jäger vom Verein „Freunde der Bau- und Kunstdenkmale Sachsen Anhalt". Aber noch konnten auch die Abrissgegner kein schlüssiges Konzept für die Nutzung der alten Bausubstanz abgeben. Denn bislang wurde die Instandhaltung mit Fördermitteln für den Technologiepark bezahlt. Wenn das Nutzungskonzept geändert wird, also beispielsweise Wohnraum entsteht, müssten die Investoren die bereits in Anspruch genommenen, zweckgebundenen Mittel zurückzahlen. Und das ist teurer als ein Abriss.

„Wir wollen das kulturelle Erbe erhalten"
„Die Stadt hat sich mit diesen Förderrichtlinien ein Korsett ge­schnürt, das eine Lösung für die Nutzung der Provinzial-Irrenanstalt extrem erschwert", so Denkmalschützer Feigl.

Der weltberühmte Architekt Josef P. Kleihues hat am Hamburger Bahnhof in Berlin bewiesen, dass moderne Architektur von der Nachbarschaft mit historischem Gemäuer profitiert. Er warnt vor dem Trend, denkmalgeschützte Gebäude abzureißen: „Die alte Bausubstanz ist das Gedächtnis der Stadt, das uns an die Vergangenheit erinnern muss." Gerade in der Hauptstadt gibt es darum einen erbitterten Kampf. Wie zuletzt um das Stadtschloss. Heiderose Leopold vom Vorstand der „Gesellschaft historisches Berlin" beklagt: „Immer häufiger wird alte Bausubstanz abgerissen, die noch vor zehn Jahren saniert worden wäre. Dabei haben gerade die Gebäude aus dem Ende des 19. Jahrhunderts Berlins Stadt­bild geprägt. Es sollte so geschlos­sen wie möglich erhalten werden." Mit dem knapp hundert Jahre alten Metropol-Theater in der Friedrichstraße zum Beispiel. Vor fünf Jahren geschlossen, rottet das Gebäude, dessen rückwärtige Fassade und Theatersaal denkmalgeschützt sind, vor sich hin. Anfang dieses Jahres beschloss die Stadt Berlin, das Theater zu verkaufen. „Die Ausschreibungsfrist lief gestern aus, und es gibt ein reges Interesse an dem Gebäude", so Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds. Kein Wunder, hat doch die Stadt künftigen Investoren einen Blankoscheck ausgestellt. „Die Ausschreibung für das Areal lässt die Möglichkeit offen, das Baudenkmal abzureißen, wenn es den Investoren wirtschaftlich entgegenkommt", erläutert Dähne. Natürlich sei es der Stadt Berlin am liebsten, wenn das Theater weiterhin kulturell genutzt werde. Vorrangig aber gelte die Vorgabe von Finanzsenator

Sarrazin (SPD), die finanziell optimalste Lö­sung zu finden: „Diesem Ruf müssen wir folgen Leopold." Heiderose kann die Kapitulation vor den Geldgebern nicht verstehen. „Unglaublich. Das Metropol-Theater muss als Kulturgut erhalten wer­den."

Private Sponsoren können da hilfreich sein. In Halle stiftete Marianne Witte rund sechs Millionen Büro, um die Sanierung eines Friedhofes aus dem 16. Jahrhundert zu finanzieren. Die 80-Jährige lebte von 1936 bis Ende des Zweiten Weltkrieges in Halle, bevor sie nach Amerika auswanderte. Trotzdem blieb sie immer mit der Stadt ver­bunden, in der ihr Vater zehn Jahre als Professor arbeitete. Als sie Anfang Mai das sanierte Renaissance-Denkmal besuchte, war das Interesse der Bevölkerung groß. Sie hatte sich vorher noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt. „Die Arkaden und Verzierungen an den Grüften auf unserem Gottesacker gefallen je­dem", erklärt Christian Feigl. Der Wert von schlichteren Gebäuden wie die Irrenanstalt sei dagegen nur für Architektur-Geschulte zu erkennen. Nur was hübsch aussieht, wird von der Allgemeinheit als schützenswert angesehen.

Gegen diese Einstellung kämpft auch Helmuth Barth als Vorsitzen­der des Vereins für Denkmalpflege in Hamburg. Sein größtes Sorgenkind ist der Hafen. Genauer jener Bereich, der zur HafenCity mit Wohn- und Geschäftshäusern ausgebaut wird: „Dort gibt es nur noch drei Denkmäler, und eines davon soll abgerissen werden." Das Amt für Strom- und Hafenbau ist ein hundert Jahre alter Gebäudekom­plex aus vier Häusern. „Die zuständi­ge Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung will die Häu­ser abreißen, um den Investoren eine saubere Brache zur Bebauung anbieten zu können", so Barth. „Dabei handelt es sich um ein historisch wertvolles Quartier, in dem die erste Hamburger Hafenverwaltung ent­stand." Das ist dem HafenCity-Management egal. Nur ein Haus soll be­stehen bleiben. Helmuth Barth reicht das nicht: „Wir wollen keine Detail-Versessenheit, sondern das kulturelle Erbe erhalten." Darauf hofft Christian Feigl in Halle auch. „Mit jedem alten Gebäude, das abgerissen wird, wird die Stadt ärmer." Also arbeitet er weiter für den Erhalt der ehemaligen Irren­anstalt. Sollte er verlieren, will er nicht dabei sein, wenn die Kräne mit den Abrissbirnen anrücken: „Ich kämpfe seit 20 Jahren für den Denkmalschutz, so etwas möchte ich nicht mit ansehen müssen."
 
   

www.scheer-halle.de